“Weckert liest”: Üben, üben, üben. Trainingsbücher für Gewaltfreie Kommunikation.
von: Al Weckert
in: Kommunikation & Seminar, April 2012, S. 52-53
Das Gehirn hat einen schwachen Akku. Menschen können ungefähr 25 Minuten lang voll konzentriert zuhören, danach sinkt die Aufmerksamkeit. In meinen Ausbildungen und Trainings für Mediation und Gewaltfreie Kommunikation (GFK) habe ich deshalb Frontalunterricht und langwierige Diskussionen abgeschafft. Heute lautet meine Devise: Auf einen knackigen Theorie-Impuls folgt unmittelbar Selbsterfahrung. Die Kraft der Empathie überträgt sich am nachhaltigsten durch eigenes Erleben.
Dadurch sparen alle Beteiligten viel Zeit. Die Moderation verkürzt sich, der Groschen fällt früher und der Aha-Effekt ist üblicherweise so intensiv, dass sich die meisten Nachfragen erübrigen. Die Teilnehmer staunen, wie schnell der Tag verfliegt. Nebenbei bearbeiten sie zahllose eigene Anliegen und kommen in einen intensiven Kontakt mit der Gruppe. Auf diese Weise kann Lernen intensiv und kurzweilig zugleich sein. Das Gehirn sagt danke!
Auf der ganzen Welt verfolgen GFK-Trainer das Ziel, Menschen für die Haltung der Einfühlung zu begeistern. Einige unter ihnen schreiben ihre Erfahrungen aus Workshops und Übungsgruppen auf und stellen uns diese Schätze zur Verfügung. Etliche dieser Bücher gibt es leider nur auf Englisch, doch sind sie eine unerschöpfliche Fundgrube. Zum einen für Kollegen, die ihre Seminare erlebnisreicher als bisher gestalten wollen und neuen Erfahrungen gegenüber offen sind. Zum anderen eignen sich die hier besprochenen Bücher auch für Übende, die ohne Trainerbegleitung neue Lernformen ausprobieren wollen. Sie enthalten umfangreiche didaktische Hinweise.
Das GFK-Tanzparkett
„Das GFK-Tanzparkett” der englischen Trainerkolleginnen Bridget Belgrave und Gina Lawrie gehört definitiv in jeden gut sortierten Empathie-Bücherschrank. Man kann es auf der Website der Verfasserinnen für eine relativ geringe Gebühr mit allen notwendigen Materialien downloaden und ausdrucken. Es enthält sieben „Tänze” zu den Themen Selbstempathie, Empathie für andere, Ärger, schwierige Entscheidungen und zum flüssigen Wechsel zwischen Fremd- und Selbstempathie.
Unter einem „Tanz” verstehen die Verfasserinnen eine Sammlung von fünf bis 13 Karten, die auf den Boden eines Seminarraums gelegt werden und spezifische Anweisungen zu den jeweiligen Themenbereichen enthalten. Übende bewegen sich auf diesen Karten hin und her, was wie ein Tanz anmutet. Die geistige und körperliche Bewegung erzeugt eine beeindruckende Intensität, emotionale Flexibilität und Bewusstseinsentwicklung. Die mir bekannten Übungsgruppen sind vom „GFK-Tanzparkett” (auch als „Giraffentanzparkett” bekannt) durchweg begeistert.
Das Handbuch enthält neben den Übungen Hinweise zum Selbstmanagement und zum Einsatz in GFK-Trainings. Es erklärt Varianten des Gebrauchs und wie man als Trainer oder Lernbegleiter die Tänzer unterstützen kann. Konzept und Inhalt überzeugen auf ganzer Linie als Handbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. „Das GFK-Tanzparkett” gibt es in zahlreichen Übersetzungen, u. a. ins Deutsche.
„Grok it!”
Das Buch „Grok it!” der amerikanischen Kolleginnen Jean Morrison und Christine King gibt es nicht in deutscher Sprache. Es lässt sich auf der Website der Verfasserinnen bestellen. Das Konzept überzeugt mich total. Es enthält alle Zutaten, die ein gutes Seminar-Handbuch ausmachen: Tipps und Tricks aus jahrzehntelanger Trainingsarbeit, Übungen und Ablaufpläne für Seminare, Spiele und Aktivierungen, Arbeitsblatt-Vorlagen und vielfältige unterschiedliche Materialien.
Das Ganze wird aus den USA, solide verpackt, als Loseblattsammlung mit Deckblatt für Standardordner verschickt. Die Texte sind sprachlich einfach gehalten, Schulenglisch genügt für das Verständnis. Die Arbeitsblätter sind grafisch klar strukturiert und enthalten zahlreiche Bilder, Tabellen und Verzeichnisse.
Ein Buch ist besonders dort spannend, wo es Unerwartetes liefert. „Grok it!” überrascht mit Anregungen zu der Frage „Wie führe ich ein GFK-Tagebuch”, mit GFK-Körperübungen („Body-NVC”), mit Humor und zahlreichen Zitaten, Gedichten und Geschichten im vorletzten Kapitel des Buches.
NVC Toolkit
Macht es Sinn, noch ein Buch aus den USA zu empfehlen? Aus meiner Sicht schon, denn das „NVC Toolkit for Facilitators” ist ein solcher Brocken, dass eine Übersetzung ins Deutsche unwahrscheinlich ist. Mit mehr als 500 Seiten im annähernd DIN A4-Format ist das Buch schwer wie ein Ziegelstein. Die schwerwiegendste Erscheinung seit dem Doppel-Whopper. Den Inhalt sollten sich Trainer für Empathie, Gewaltfreie Kommunikation und Achtsamkeit jedoch nicht entgehen lassen. Hier schreiben Praktiker für Praktiker. Die drei Autorinnen sammelten ihre Trainingserfahrungen in Schulen, Unternehmen und sozialen Organisationen. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die Arbeit in Gefängnissen. Entsprechend klar sind die Übungen strukturiert. Sie sollen Menschen in schwierigen Trainingssituationen eine sichere Hilfe bieten.
Das Buch enthält 18 Kapitel und widmet sich herausfordernden Themen wie „Nein-Sagen” und Konfliktbearbeitung, Ärger und Feiern, Trauern und Vergebung, Rebellion und Unterwerfung. Zu jedem Kapitel gibt es eine Achtsamkeitsübung, GFK-Übungen, Trainingshilfen und Arbeitsblätter. Als Mehrwert enthält das Buch zu jeder Übung die Moderation der Autorinnen zu ihren Seminaren im Wortlaut. Für die Arbeit in Gefängnissen gibt es zusätzliche Übungsvarianten. Zu vielen Übungen finden sich Videos auf der Homepage der Verfasser. Im Buch finden sich die Zugangsdaten, mit deren Hilfe Sie die Video-Tutorials im Internet freischalten können. Ein beeindruckender Service!
13-Wochen-Übungsprogramm
Lucy Leu lernte Marshall Rosenberg bei einem Vortrag vor Häftlingen kennen und gründete in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts das „Freedom Project”, in dem Gefangene zu Friedensarbeitern” ausgebildet werden. Ihr „13-Wochen-Übungsprogramm” begleitet GFK-Übungsgruppen beim Erarbeiten der 13 Kapitel des Buchs „Gewaltfreie Kommunikation” von Marshall Rosenberg. Es ist in zwei Teile geteilt. Der erste Teil erläutert, wie man GFK-Übungsgruppen gründet und leitet. Er enthält Vorschläge für Regeln, Feedback-Prozesse, den Umgang mit Konflikten und Rollenspiele.
Der zweite Teil des Buches bietet Übungen zu jedem Einzelkapitel. Die Übungen unterteilen sich in „individuelle Aufgaben” und „Aufgaben für Übungsgruppen”.
Trainingsbuch von Ingrid Holler
Das Trainingsbuch von Ingrid Holler lieferte 2003, als sich das Grundlagenbuch von Marshall Rosenberg in einen Bestseller zu verwandeln begann, die ersten Übungsanleitungen für den deutschsprachigen Raum. Auch dieses Buch orientiert sich an der Struktur der Rosenberg-Kapitel. Wie das Buch von Lucy Leu unterscheidet es Übungen für Einzelanwender und Übungen für Gruppen. Bei den individuellen Übungen arbeitet es mit offenen Fragen an die Leser, deren Antworten sich direkt ins Buch schreiben lassen. Dazwischen erzählt Ingrid Holler kleine Geschichten, um die Haltung zu unterstreichen, die sich mit der Aufgabenstellung verbindet.
Wie die Autoren von „Grok it!” leitet Ingrid Holler die Leser zu einem GFK-Tagebuch an. Sie schlägt vor, wöchentlich ein Kapitel ihres Buches zu bearbeiten und sich zu dem jeweiligen Thema Notizen zu machen. Täglich 15 Minuten Beschäftigung mit dem GFK-Tagebuch entfalten nach Ansicht vieler erfahrener Trainer eine starke Bewusstseinswirkung. In diesem Buch finden Sie einige Ideen dazu.
- Belgrave, Bridget; Lawrie, Gina: Das GFK-Tanzparkett. Bezug über www.nvcdancefloors.com
- Gill, Raj; Leu, Lucy; Morin, Judi: NVC Toolkit for Facilitators. Booksurge Llc, Bezug über Amazon US
- Holler, Ingrid (2003/2010): Trainingsbuch Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn: Junfermann
- Leu, Lucy (2009): Gewaltfreie Kommunikation. Das 13-Wochen-Übungsprogramm. Paderborn: Junfermann
- Morrison, Jean; King, Christine: Grok it! Bezug über www.communicateforlife.com