Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
Fünfter Teil der Serie rund um Mediation
Diplomvolkswirt , Autor und Trainer Al Weckert über Mediation in Gruppen und Teams
Veröffentlicht in: Empathische Zeit 3/2018
Teilnehmer einer Mediationsausbildung lieben das Modul mit den „Methoden der Gruppen- und Teammediation “, weil es besonders abwechslungsreich und dynamisch verläuft. Anhand eines Beispielfalls üben die Teilnehmer, wie man ein zerstrittenes Team bei der Konfliktklärung begleitet. Es ergeben sich dabei zwei Herausforderungen: eine große Gruppe zum Reden zu bringen und gleichzeitig das Zeitmanagement im Auge zu behalten. Aus diesem Grund erlernen die Teilnehmer spezielle Methoden, die Effizienz und Tiefgang miteinander verbinden. Dass in diesem Modul bei aller Schwierigkeit besonders viel gelacht wird, erklärt sich daraus, dass die Ausbildungsteilnehmer sich in der Rolle der Streitparteien wiederer- kennen. Es ist allzu menschlich, wie schwer man sich einer Rollendynamik entziehen kann – selbst, wenn sie künstlich inszeniert wurde. Umso hilfreicher ist es, wenn Mediatoren von außen eine Treppe aus der Konfliktdynamik anbieten.
Mit zunehmender Gruppengröße werden Mediationen immer anspruchsvoller. Mediation lebt vom Zuhören und vom Ausloten der unterschiedlichen Standpunkte. Es geht nicht nur um Zahlen, Daten und Fakten. Es geht vor allem um die Überwindung von Vorurteilen und starren Positionen. Erst wenn sich die Streitparteien wieder respektieren, wenn sie die Gefühle und Bedürfnisse der Gegenseite an sich heranlassen, dann verwandelt sich der Kampf ums Rechthaben in ein nachdenkliches Suchen nach Lösungen. Bei zwei Streitparteien verläuft dieser Prozess meistens recht übersichtlich. Doch in großen Gruppen geht der rote Faden schnell verloren.
Die Mediation von Gruppen und Teams erfordert Erfahrung mit Gruppendynamik, Moderation und Visualisierung. Einerseits braucht der Prozess Struktur und Effizienz. Andererseits entscheidet immer noch die Qualität des Dialogs. Die Aufrechterhaltung von Konzentration und Engagement hängt von der Passgenauigkeit der verwendeten Methoden, vom Timing (Zeit- und Pausenmanagement), geschicktem Pendeln zwischen Reflexion und Aktion, feinem Gespür für Störungen (plus passen den Interventionen) und der Sichtbarmachung von Ergebnissen ab.
Die Forschungsgruppe eines Chemiekonzerns fordert eine Mediation an, weil sich das Team mit der Gruppenleiterin überworfen hat. Für die Mediation stehen 1,5 Tage zur Verfügung. Die Stimmung wirkt vergiftet. Deshalb bitte ich die Teilnehmer auf Stellwände zu schreiben, was sie sich von der Mediation erwarten und was auf keinen Fall passieren darf. Das Ergebnis ist eindeutig: Es soll (endlich) offen ausgesprochen werden, was die Beteiligten voneinander wollen. Bei einem Scheitern der Mediation droht das Projekt zu zerbrechen. Der Ton der Aussagen klingt verzweifelt. Alle schauen den Mediator an. Doch der Mediator muss sich erst einmal einen Eindruck verschaffen.
In Gruppen und Teams prallen unterschiedliche Arten von Systemen auf einander. Die wichtigsten Systeme sind …
Ein Konflikt kann auf jeder dieser Ebenen beheimatet sein. Um die Konfliktebene zu klären, vergleichen Mediatoren das offizielle Organigramm mit der gelebten (informellen) Organisationsstruktur. Die Teilnehmer werden aufgefordert, die Organisation (bzw. das Team) in einem Bild darzustellen und darin zu markieren, zwischen wem sich welche Konflikte abspielen.
Die Mediationsteilnehmer werden von mir gebeten, das Team und seine Konflikte zu zeichnen. Dafür erhält jeder Teilnehmer einen Zeichenblock und einen Moderationsmarker. Anschließend tragen die Teilnehmer ihre Sicht der Dinge vor. Zum Schluss werden die Ergebnisse übereinandergelegt. Die Übereinstimmung ist verblüffend. Die Leiterin wirkt allein. Die Mitarbeiter beschreiben sie a) als isoliert und überfordert. Sie selbst betrachtet ihre Distanz zum Team als Folge der Teamkonflikte. Das Team reagiert auf fehlenden Dialog b) zunehmend rebellisch. Ohne Ergebnisse droht c) das Unternehmen, die Projektfinanzierung zu stoppen. Außerdem fällt bei der Analyse der Organigramme auf, dass d) ein externer Supervisor die Mitarbeiter betreut, der gegenüber der Leiterin die Rolle des Gegenspielers eingenommen hat. Mit Einverständnis der Gruppe lade ich den Supervisor als zusätzlichen Teilnehmer zur Mediation ein.
Wenn in Unternehmen zu viel oder zu wenig geführt wird, entstehen Unklarheiten und Kämpfe um Einfluss auf Entscheidungen. Offizielle und inoffizielle Machtstrukturen treten miteinander in Konflikt. Der Rang, den Führungskräfte und Mitarbeiter einnehmen, bildet sich als Mischung aus angeborenen, erworbenen oder übertragenen Eigenschaften, Kompetenzen und Ressourcen.
Körperfarbe und Nationalität erwerben wir mit der Geburt. Bildungsrang und Reife können wir gezielt beeinflussen. Entscheidungsbefugnisse und finanziellen Status erhalten wir zugeteilt. Mit steigendem Rang und zunehmenden Privilegien (Dienstwagen, Boni …) geht wachsende Verantwortung einher. Wird diese Verantwortung mangelhaft wahrgenommen (beispielsweise durch langatmige Teamsitzungen, Bevorzugung einzelner Mitarbeiter, Bevormundung von Experten), gerät das Gleichgewicht zwischen Privilegien und Verantwortung in eine Schieflage.
Der Supervisor erzählt im Einzelgespräch, dass er sich als Rettungsdienst für das Team empfindet. Die Leiterin würde ihrer Rolle nicht gerecht. Er mahnt einen Führungsstil an, der die Kompetenzen aller einbezieht. Er sei vom Unternehmen eingesetzt worden, um das Schiff vor dem Kentern zu bewahren. Durch das Gespräch wird klar, dass das bereits schief hängende Team-Mobile durch die Installation des Supervisors (ohne Entscheidungsbefugnisse) noch instabiler geworden ist.
Das Mediationsschema der Zweiparteienmediation folgt den fünf Phasen:
Die Mediation von Gruppen und Teams umfasst zwei zusätzliche Elemente. Sie unterteilt Phase 2 in (2a) Themenerhebung und (2b) Priorisierung (die Reihenfolge der Themenbearbeitung) , sowie die Phase 3 in (3a) Themendarstellung und (3b) Themenerhellung. Daraus ergeben sich für die Mediation von Gruppen und Teams insgesamt sieben Phasen.
Die veränderte Methodik ist notwendig, weil man aufgrund der vielen Teilnehmer und Wortbeiträge Methoden der Kleingruppenarbeit nutzt. Bei einer Mediation mit 20-30 Teilnehmer kann man zum Beispiel in der Phase 2a Vierergruppen bilden, die ihre Themenvorschläge auf Karten sammeln. In Phase 2b wird dann mit Klebepunkten über die Reihenfolge der Themenklärung entschieden.
Um den Rollenkonflikt zu klären, bitte ich die Teilnehmer in Phase 3a ihr Team als Schiff aufzustellen. Jeder Teilnehmer wählt sich eine zu seiner (subjektiv empfundenen) Realität passenden Rolle aus (Kapitän, Funker „.). Er stellt körperlich dar, wie er sich in der Rolle fühlt (schwimmend um Hilfe rufend, breitbeinig auf der Brücke „.). In der nachfolgenden Phase 3b) sprechen die Teilnehmer darüber, was sie daraus über ihr Team und nötige Veränderungen gelernt haben. Die Diskussion eskaliert, als eine Mitarbeiterin vorschlägt, zukünftig auf den Kapitänsposten zu verzichten. Die Leiterin verlässt den Raum. Weinend redet sie darüber, wie sehr sie sich Anerkennung wünscht.
In der Mediationsausbildung lernt man Methoden zur Klärung von Beziehungs-, Rollen- und Sachkonflikten. Im Vorgespräch zu einer Mediation erhalten Sie erste Anhaltspunkte für die Art des vorliegenden Konflikts. Entsprechend wählen Sie die Methoden aus.
Mediation ist jedoch ein lebendiger Prozess. Auf Basis der Vorgespräche können Sie den Einstieg in die Mediation gestalten und Ideen für den weiteren Verlauf sammeln. Ob sich die Planung umsetzen lässt, bleibt aber ungewiss. Das einzig Verlässliche an Mediation ist ihre Unvorhersehbarkeit. Folgen Sie im Zweifelsfall Ihrer Intuition.
Den Mut zur spontanen Anpassung nennt man „Vertrauen in den Prozess”. Dafür benötigt das Mediationsteam einen großen Methodenbaukasten.
Nach der Eskalation herrscht Bestürzung unter den Teilnehmern. Auch ich bin unsicher. Der zweite Mediationstag ist fast vorbei und ich kann fast keine Entwicklung erkennen. Ich führe eine weitere Runde Einzelgespräche, damit die Teilnehmer Dampf ablassen können. Die Leiterin erzählt mir, dass sie ohne Vorbereitung in die Leitungsrolle gerutscht ist. Sie fühlt sich überfordert. Ihre Distanziertheit ist ein Mittel des Selbstschutzes.
In der Atmosphäre der allgemeinen Ratslosigkeit redet die Leitungsassistentin Tacheles. Von allen Mitarbeitern hat sie den besten Draht zur Leiterin. Sie erzählt, wie sehr sie die Verschlossenheit der Leiterin belastet. Sie bittet die Leiterin vor der Gruppe, sich heute ein wenig zu öffnen.
Sie schlägt vor, dass sie etwas Persönliches von sich und ihren wissenschaftlichen Ambitionen erzählt.
Sie appelliert dabei an ihre Verantwortung: „Zeig uns etwas von dir, an das wir anknüpfen können:’
Zuerst verteidigt sich die Leiterin: „lch mache doch so viel. Was wollt ihr denn?” In einem weiteren Einzelgespräch übersetze ich die Bitte als „Bedürfnis nach Kontakt, Öffnung, Wertschätzung und Dialog”. Daraufhin stellt sie sich der Gruppe. Sie erzählt 30 Minuten lang von ihrem Werdegang und ihren Forschungsidealen. Sie wirkt dabei nicht mehr unruhig und abgehoben, sondern glücklich und leidenschaftlich. Wieder fließen Tränen, diesmal auf beiden Seiten. Es sind Tränen der Erleichterung.
Mediation großer Gruppen fühlt sich an wie Jonglieren mit vielen Bällen. Sie bauen Beziehungen zu den Teilnehmenden auf und halten das Vertrauen auf hohem Niveau. Sie planen den Prozess und passen ihn ständig neu an. Sie achten auf lhre Allparteilichkeit und reagieren empathisch auf Stö rungen. Sie steuern das Zeitmanagement, sichern die Aufmerksamkeit der Gruppe und achten auf lhren eigenen Energiestand. Sie moderieren, strukturieren und dokumentieren. Ganz nebenbei verarbeiten Sie die Trauer und Wut, die sich in Konfliktgesprächen entlädt. All das kostet Kraft.
Ein Co-Mediator ist dafür hilfreich und entlastend. Vier Augen sehen mehr als zwei. Ein Mediator kann moderieren, während der andere dokumentiert. Nach jeder Methode wechseln Sie. Hat sich jemand auf Sie eingeschossen, übernimmt Ihr Partner die Gesprächsführung. In Pausen diskutieren Sie die nächsten Schritte. Ist einer müde, übernimmt der andere. Außerdem liefern Sie der Gruppe als Duo Mann/ Frau, Anwalt/ Psychologe oder jung/alt mehr Anknüpfungspunkte.
Nach dem letzten Einzelgespräch um ca.18 Uhr schnappe ich mir ein Telefon und rufe meine beste Freundin an: „Ich weiß nicht mehr weiter”. Nach dem Gespräch bin ich zwar nicht klüger, fühle mich aber nicht mehr so allein. Bei dieser Mediation wäre ein Co-Mediator Gold wert.
Eskalation bahnt sich im Rahmen einer Mediation auf unterschiedliche Art und Weise an. Als erste Warnsignale lassen sich häufig beobachten:
Ich empfehle in einer eskalierenden Situation die Emotionen nicht zu dämpfen oder zu beruhigen, sondern den Ursprung der Erregung zu erfassen und zu benennen. Dabei machen die Streitparteien eine neue Erfahrung. Bislang erfolgte Schuldzuweisung auf Schuldzuweisung. Stattdessen folgt diesmal die schnelle Übersetzung von Schuldzuweisungen in die dahinterliegenden Bedürfnisse. „Sie sind sauer, weil Sie sich eine klare Auskunft gewünscht hätten. Richtig?” Der Fall-Einbringer beruhigt sich, weil er merkt, dass sein Thema angehört und ernst genommen wird. Verständnis baut Vertrauen in die Gesprächssituation auf. Vertrauen beruhigt das Nervensystem. Ein ruhiges Nervensystem kann über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Es kommt Bewegung und Kreativität in die Konfliktklärung. Entscheidend ist das Tempo der Methode. Sie kommt dem „Ja, aber …”-Reflex der Teilnehmer zuvor und lenkt den Gesprächs verlauf in eine neue Richtung.
Die Forschungsgruppe hat sich bereits über einen Zeitraum von zwei Jahren in Grabenkämpfen ausgepowert. Entsprechend groß sind die persönlichen Verletzungen. Abwertende Gesten (Augenrollen) und instrumentelle Emotionen (demonstratives Weinen) ziehen sich durch die ersten Stunden der Mediation. Jetzt zahlt sich aus, dass ich mich seit Jahren mit Emotionen beschäftige (zum Beispiel durch das Training der Mimikresonanz und der Emotionsregulation). Durch das Benennen der dahinterliegenden Anliegen kann sich niemand mehr hinter abfälliger Körpersprache verstecken. Gleichzeitig verläuft das Ansprechen emotionaler Signale achtsam und respektvoll: „Frau Maier: Ich habe bei Ihnen ein deutliches Stirnrunzeln gesehen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie die Situation anders wahrgenommen haben? Was haben Sie beobachtet und gehört?”
Eine weitere Besonderheit der Mediation von Gruppen und Teams ist der Anteil der Visualisierung. Erstens wird viel Kleingruppenarbeit betrieben, die anschließend im Plenum sichtbar gemacht werden muss. Zweitens müssen ständig Arbeitsergebnisse dokumentiert werden, damit alle über einen einheitlichen Kenntnisstand verfügen.
Visualisierung empfiehlt sich darüber hinaus, um die Anmoderation von Methoden (wie das „Problemdreieck”), Abläufen („Tagesplan”), Fragestellungen („Was darf heute nicht passieren?”) und Kleingruppenaufgaben („Ihre Themen für die Mediation”) zu vereinfachen. Begleiten Sie das Gesagte durch Bilder und Schlagwörter. Dadurch sinkt die Anzahl der Nachfragen um mehr als die Hälfte.
Das Training der Visualisierung umfasst zum Beispiel eine deutliche Druckbuchstaben-Schrift, den Einsatz von Farben, die Gestaltung von Überschriften und Aufzählungen, den Einsatz kleiner Zeichnungen oder Symbole, die Aufteilung der Plakatfläche und die Zusammenstellung eines funktionierenden Moderationskoffers mit allen nötigen Materialien.
Ganz am Ende nimmt die Mediation so richtig Fahrt auf. Nachdem sich die Beteiligten auf der Beziehungsebene Signale der Wertschätzung und des gegenseitigen Verständnisses gesendet haben, fallen ihnen zahlreiche Dinge ein, die sie auf der Sachebene sofort verändern könnten. Insbesondere der Informationsfluss und der Ablauf von Besprechungen werden neu organisiert. Als Mediator fertige ich einen Aktionsplan an, den mir die Beteiligten durch Zuruf diktieren. Ende gut, alles gut? Es herrscht große Dankbarkeit für die neue Entwicklung. Gleichzeitig spüre ich Skepsis, ob die guten Vorsätze halten. Aber das ist eigentlich ein anderes Thema und fällt in die Sparte Teamentwicklung…
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