Empathie-Training
Organisationsentwicklung
Konfliktmanagement
Mimikresonanz und Gewaltfreie Kommunikation: Zwei unterschiedliche Trainingssysteme greifen gut ineinander.
Von Al Weckert
Veröffentlicht in: Praxis Kommunikation 2/2015
Obwohl sich viele Kapitel um Gefühle drehen, findet sich in Marshall Rosenbergs Grundlagenbuch „Gewaltfreie Kommunikation” kaum ein Satz über Mimik. Stets geht es um Worte und deren Wirkung. Auf der Bühne hingegen arbeitete Rosenberg sehr intensiv mit Körpersprache. Unvergessen sind die feinen Akzentuierungen seiner Stimmführung und die präzisen Bewegungen seiner kräftigen Augenbrauen, mit denen er den Kontakt zu seinen Klienten begleitete. Vielleicht war sich Rosenberg unklar darüber, wie man solche Fähigkeiten weitergeben kann. In seiner Zeit stand kein fundiertes und einfaches Lernverfahren für mimische Kommunikation zur Verfügung.
Inzwischen gibt es Trainingsprogramme, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zum mimischen Ausdruck von Emotionen basieren. Ein solches Trainingssystem, die „Mimikresonanz” von Dirk Eilert, lässt sich nach meiner Erfahrung hervorragend in GFK-Seminare einbauen und wird dort begeistert aufgenommen. Die richtige Deutung und der präzise Einsatz mimischer Signale ist pures Empathietraining und bringt hohe Effizienz in den Verständigungsprozess. Kopf- und sprachfixierte Menschen erleben dabei eine ganz neue Qualität der Verbindung mit den Emotionen ihres Gesprächspartners. An einem herrlichen Sommerabend kam meine Tochter Naima weinend auf mich zu. Mit schriller und schluchzender Stimme berichtete sie vom Verlust ihres Schlüsselbundes. Zunächst wollte ich auf die Trauer meiner Tochter reagieren, doch etwas hielt mich davon ab. Ich verstand nicht, warum Naima die Mundwinkel angstvoll nach hinten zog. Bei Trauer hängen die Mundwinkel normalerweise herab. Noch merkwürdiger empfand ich ihren Sprechstil. Trauernde sprechen langsam mit absinkendem Tonfall. Naima hingegen steigerte sich in hohe, schnelle Stimmlagen, die bei Angst typisch sind.
Aus diesen Beobachtungen bildete ich eine Hypothese, die ich als Frage formulierte: „Hast du Angst, weil der Schlüsselverlust teuer werden könnte? Denkst du dabei an die hohe Rechnung, die wir vor einem halben Jahr bekommen haben, als wir die Schlösser schon einmal austauschen mussten?” Meine Tochter sah mich überrascht an, hörte augenblicklich auf zu weinen und antwortete mit einem knappen „Ja”. Wir konnten uns also gemeinsam auf die Suche nach dem Schlüssel begeben. Wobei ich ihr zunächst empfahl, in die Handtasche; ihrer Mutter zu schauen, wo sie den Schlüssel tatsächlich wiederfand. Der Abend war gerettet. Dauer des Gesamtprozesses: 90 Sekunden
Mimische Bewegungen lassen sich eindeutig codieren und bestimmten Emotionsfamilien zuordnen. Schon Charles Darwin beschrieb in seinem Buch „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren” 1877 die Universalität mimischer Expressionen. Die häufig angefochtene These konnte 1978 endgültig durch die beiden Anthropologen und Psychologen Paul Ekman und Wallace Friesen belegt werden. Ihr „Facial Action Coding System” (FACS) ist heute das unter Psychologen am weitesten verbreitete Kodierungsverfahren zur Beschreibung von Gesichtsausdrücken. Es beschreibt 44 Bewegungen der Gesichtsmuskeln, die sich zu den sieben Basisemotionen – Ekel, Ärger, Angst, Traurigkeit, Freude, Überraschung und Verachtung – formen. Außerdem definiert es Teilexpressionen, subtile Expressionen und Mischexpressionen der Mimik.
Das Erkennen der von Ekman beobachteten Basisemotionen ist für jeden Menschen erlernbar. Dafür muss man die Grundlagen des FACS-Systems kennen und die Wahrnehmung der Umgebung (den peripheren Blick) schulen. Die von Ekman wissenschaftlich begleitete Fernsehserie „Lie to me” bietet dazu spannendes Edutainment an. Noch ergiebiger ist das Training der Wahrnehmung sogenannter Mikroexpressionen. Als Mikroexpressionen werden mimische Signale bezeichnet, die sich nur sehr kurze Zeit zeigen, weniger als eine halbe Sekunde lang. Sie „verraten” jene Emotionen bei unserem Gegenüber, die seiner Reaktion zugrunde liegen und entweder verborgen bleiben sollen, und deshalb kontrolliert werden, oder dem Gegenüber selbst gar nicht bewusst sind. Mikroexpressionen wurden 1966 mehr zufällig von Ernest Haggard und Kenneth Isaacs entdeckt. Für den Einfühlungsprozess sind sie besonders wertvoll, weil sie unwillentlich ablaufen und deshalb kaum manipulierbar sind.
Weil das limbische System auf direktem Weg mit der Mimik verbunden ist, zeigen wir alles, was wir stark fühlen, auch im Gesicht. Mikroexpressionen offenbaren also, ob wir den Aussagen einer Person vertrauen können, weil der Sprecher das, was er behauptet, auch fühlt. Das sogenannte „Facial Feedback” läuft auch umgekehrt ab: Alles was wir mit unserem Gesicht widerspiegeln, empfinden wir schlagartig auch emotional. Weil wir genetisch auf das Spiegeln von Gesichtsausdrücken programmiert sind (denken Sie an ein Wickelkind im mimischen Dialog mit den Eltern), können wir die Emotionen unseres Gegenübers sehen, selbst erleben und daher verstehen. Es ist ein fantastisches Programm zum Aufbau komplexer und tragfähiger Gemeinschaften. Dabei handelt es sich jedoch um eine „Use-it-or-loose it”- Fähigkeit. Wer Mikroexpressionen wahrnehmen und verstehen will, braucht viel Übung. Zum einen muss er den Wahrnehmungs- und Übersetzungsprozess durch Wiederholung aufbauen. Zum anderen kann er es üben, die Dauer seiner Mikroexpressions- Signale zu kontrollieren und stetig zu verkürzen.
Das Training der Mimikresonanz umfasst erstens die Wahrnehmung mimischer Veränderungen und zweitens die Zuordnung der Bewegungen zu bestimmten Emotionsfamilien. Einen dritten Bereich. das Resonanztraining dar. Wie gehen wir angemessen mit unseren Wahrnehmungen um? Hier bringt die GFK ihre Stärken ein.
Wer über einen längeren Zeitraum GFK trainiert, verfügt bereits über ein breit gefächertes Vokabular für Emotionen. Ausgehend von seinen Beobachtungen kann er durch Mimikresonanz auf die Gefühle seines Gegenübers schließen. Durch die Einbettung in den jeweiligen Kontext und unterstützt von eigener Lebenserfahrung entwickeln wir Vermutungen, wovon die Emotion des Erzählers ausgelöst wurde. Die Achtsamkeit gebietet, dass wir unsere Hypothesen im Frageton äußern. In oben stehendem Beispiel lautete meine Frage: „Hast du Angst, weil der Schlüsselverlust teuer werden könnte?”
Die eigentliche Stärke der GFK liegt in der Verknüpfung von Gefühlen und Bedürfnissen. Wer mit dem Gesprächspartner mitfühlen kann, versteht rasch, worum es ihm wirklich geht. Meiner Tochter ging es um Schutz vor familiärem Stress und Unterstützung bei ihrer Suche. Meine übernächste Frage lautete also: „Kann ich dir bei der Schlüsselsuche helfen?” Es handelt sich bei dieser Fragetechnik um die sogenannte „empathische Spekulation”. Liege ich richtig, ist die beiderseitige Freude groß. Liege ich falsch, wird mich der Gesprächspartner korrigieren.
Der Hauptvorteil dieses Vorgehens liegt in der Aktivierung der Spiegelneurone. Wer Gefühle anspricht, erhält häufig Antworten auf Gefühlsebene. Wer Bedürfnisse anspricht, erhält Antworten auf Bedürfnisebene. Indem wir von der Mimik auf Emotionen schließen und von den Gefühlen auf Bedürfnisse, nähern wir uns einer bedürfnisorientierten Lösung an. Mimikresonanz dient unserer inneren Kompassnadel als Magnet für den richtigen Gesprächskurs. Wenn wir dabei im Frageton bleiben, vermeiden wir den Fehler des Othello.
Sicher kennen Sie das unangenehme Gefühl, wenn Ihnen jemand falsche Absichten unterstellt. Im Shakespeare- Drama „Othello” endet eine solche Unterstellung tödlich. Othello verdächtigt seine Frau Desdemona der Untreue. Dass ihr dabei die Gesichtszüge entgleiten, interpretiert er als Geständnis, und er erdrosselt sie. Desdemona hatte allerdings einen völlig unverfänglichen Grund für ihre Angst. Sie war sich unsicher, wie sie ihre Unschuld beweisen könne. Als Othello den Irrtum begreift, tötet er auch sich. Mimikresonanz-Anwender sind vor solchen und anderen Dramen gefeit, wenn sie sich nicht allwissend geben, sondern ihre erhöhte Sensibilität für eine bessere Verbindung zu anderen und zu sich selbst einsetzen.
Meine Tochter sagte vor vielen Jahren zu mir: „Papa, ich finde gut, dass du GFK lernst. Aber kannst du es nicht so machen, dass ich es nicht merke?” Kindermund tut Wahrheit kund: Gewaltfreie Kommunikation klingt schlimmstenfalls statisch, fast robotermäßig. Man spürt, wie die Beteiligten um die „richtigen” Worte ringen und jede Silbe abwägen. Auch über die Worte der anderen wird intensiv nachgedacht. Geprägt hat mich die Teilnahme an einem GFK-Workshop, bei dem sich die Teilnehmer gegenseitig im Streit um Worte zerfleischten, während der verstummte (ausländische) Gastdozent auf der Bühne einen Schweißausbruch nach dem anderen erlitt. Niemand schien es zu kümmern.
In einer Gesellschaft, in der Sprache eine derart hohe Bedeutung hat, lohnt sich Mimikresonanz doppelt. Wenn wir erst hinschauen, bevor wir analysieren, gelingt uns eine ganz andere Qualität des Mitfühlens. Das genetische Programm des Menschen hilft uns zu spiegeln und uns berühren zu lassen. Wenn affektive und kognitive Empathie – begünstigt durch GFK und Mimikresonanz – zusammenkommen, entstehen Verständnis und Vertrauen in der Form, wie Groß und Klein es sich erhoffen.
(c) Al Weckert
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